Scheinselbständigkeit vermeiden – Teil 1: Definition, Rechtsgrundlagen und Auswirkung
Anfang 2025, drei Wochen vor der Wahl zum deutschen Bundestag, hat derselbe eine Übergangsregelung für selbstständige Lehrkräfte beschlossen: Von 2025 bis 2026 können sie Lehrtätigkeiten ausüben, ohne als abhängig Beschäftigte zu gelten. Grund war das sogenannte Herrenberg-Urteil vom 28. Juni 2022. Dies hatte einer Vielzahl von Musiklehrern unter dem Generalverdacht der Scheinselbständigkeit gestellt.
Die Entscheidung, externe Dienstleister zu beauftragen, ist im Grundgesetz verfassungsrechtlich geschützt. Der Einsatz Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) in Form von Subunternehmern ist rechtens. Häufig werden auch Freelancer als Subunternehmer beauftragt. Häufig wird in diesem Zusammenhang auch das Thema Scheinselbständigkeit diskutiert. Aber was ist eigentlich Scheinselbstständigkeit? Welche Gesetze sind betroffen? Und wie kann ich Freelancer Compliance-konform einsetzen? Diesen Fragen möchten wir in diesem zweiteiligen Beitrag nachgehen. Vorab: die compliance-konforme Beauftragungen von Externen sind wichtig.
Definition Scheinselbständigkeit
Scheinselbständige sind Personen, die als Selbständige auftreten, in der Arbeitsrealität aber als Arbeitnehmer eingestuft werden. Für die Scheinselbständigkeit gibt es kein eigenes Gesetz. Maßgeblich ist § 7 Abs. 1 SGB IV, in dem es heißt: „Beschäftigung ist die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind die Tätigkeit nach Weisungen und die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“ Für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses gibt es bei der Prüfung Indizien. Diese werden in jedem Einzelfall als Gesamtbild geprüft. Wesentliche Entscheidungskriterien sind die Weisungsgebundenheit und die Eingliederung in den Betrieb. Die Prüfung und Beurteilung erfolgt durch die Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung.
Genau genommen bedeutet der Begriff ‚scheinselbstständig‘ eigentlich nur, dass der sozialrechtliche Status der betreffenden Person vorübergehenden rechtlich unklar ist. Es werden drei Kategorien unterschieden:
– Selbstständige ohne Sozialversicherungspflicht
– Selbständige mit (eigener) Rentenversicherungspflicht, auch „arbeitnehmerähnliche Selbständige“ genannt
– Arbeitnehmer mit voller Sozialversicherungspflicht
Gesetze und Verordnungen
Die rechtlichen Grundlagen sind sehr komplex und betreffen vor allem die Rechtsgebiete
– Sozialversicherungsrecht (Kranken-, Pflege-, Arbeitslosen-, Renten- und gesetzliche Unfallversicherung plus Säumniszuschläge)
– Steuerrecht (Lohn-/Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer)
– Arbeitsrecht
Weitere Gesetze oder Verordnungen, die in Betracht kommen, sind das Bürgerliche Gesetzbuch, das Bundesurlaubsgesetz (§ 2 BurlG), die Gewerbeordnung, das Strafgesetzbuch, das Partnerschaftsgesellschaftsgesetz (§ 1 Abs. 2 Freie Berufe), das Betriebsverfassungsgesetz, das Arbeitnehmerentsendegesetz, die Zivilprozessordnung, die Abgabenordnung, das Mindestlohngesetz oder das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.
Dabei ist zu beachten, dass die sozialversicherungsrechtliche Einstufung unabhängig von den anderen Rechtsgebieten ist, da das jeweilige Gericht nicht an die Prüfung der anderen Gerichte gebunden ist. So kann z.B. das Sozialgericht eine abhängige Beschäftigung feststellen, während das Finanzamt den Status als Selbständiger anerkennt. Die rechtlichen Regelungen sind also nicht deckungsgleich.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass derjenige Arbeitnehmer ist, der vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist, d.h. in den Betrieb eingegliedert ist und Weisungen hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort oder Art unterliegt. Selbständige sind dies nicht.
Statusfeststellungsverfahren
Der Status, ob selbständig oder abhängig beschäftigt, wird im Statusfeststellungsverfahren geklärt. Das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGBIV wird von der Deutschen Rentenversicherung durchgeführt. Es dient der Feststellung des Status „selbständig“ oder „nicht selbständig“ und bezieht sich auf den temporären Zustand eines Projektes, stellt also eine Momentaufnahme dar. Die Einstufung „ob selbständig“ ist also nur temporär unter bestimmten Projektumständen und nicht grundsätzlich und dauerhaft.
Es wird zwischen fakultativen und obligatorischen Statusfeststellungsverfahren unterschieden. Letzteres wird von Amts wegen eingeleitet, insbesondere bei neuen Beschäftigungsverhältnissen von mitarbeitenden Familienangehörigen oder Gesellschafter-Geschäftsführern. Das fakultative Verfahren muss beantragt werden. Wird der Antrag auf Statusfeststellung innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Beschäftigung gestellt, tritt die Versicherungspflicht mit der Bekanntgabe der Entscheidung ein, ansonsten mit dem Tag der Aufnahme der Beschäftigung (§ 7a Abs. 6 SGB IV).
Teilweise enorme Schadenssummen
Die finanziellen Auswirkungen der Eingruppierung auf die Beschäftigten sind erheblich und betreffen verschiedene Rechtsbereiche. Grundsätzlich ergeben sich Konsequenzen insbesondere aus dem Arbeits-, Sozialversicherungs- und Arbeitsrecht. Bei einem zwischengeschalteten Dienstleister ist auch das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu beachten.
Bei Freelancern, welche beispielsweise Projekte mit Parametern wie 160 Stunden pro Monat und einer Einsatzdauer von 20 Monaten bei einem Stundensatz von 100 Euro absolvieren, ergeben sich bei festgestellt rechtswidrigen Gegebenheiten schnell Schadenssummen von über 100.000 Euro.
Fazit
Der Einsatz von externen Mitarbeitern ist rechtlich zulässig, wirtschaftlich sinnvoll und aufgrund zunehmendem Fachkräftemangel zunehmend unvermeidbar. Ein rechts- bzw. compliance konformer Einsatz von Freelancern ist in der Praxis aufgrund komplexer und uneinheitlicher Gesetzgebung nicht einfach. Daher ist es essentiell und wichtig, von Anfang an Compliance-konform zu handeln.
Auf praxistaugliche Maßnahmen und Verhaltensregeln seitens Kunden, Freelancer und Vermittlungsagentur für eine möglichst hohe Compliance-Konformität gehe ich im zweiten Teil des Artikels ein.
Beste Grüße
Matthias Ruff
In eigener Sache – Alleinstellungsmerkmal von OURLANCE
Wir sind auf die compliance-konforme Durchführung von Projekten mit externen Mitarbeitern spezialisiert. Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass Sales und Sourcing von selbstständigen Vertriebspartnern durchgeführt wird.
Nähere Erläuterungen zum Geschäftsmodell Contracting, zu den Vorteilen einer Zusammenarbeit und wie selbständige Vertriebspartner profitieren können, finden sich in unserer Artikelserie Über OURLANCE.